Dies ist der 6. und letzte Teil der Reihe „Warum kann ein Heli überhaupt fliegen?“ Wenn Sie der Reihe nach lesen möchten, finden Sie hier die vorangegangenen Teile:
Teil 1: Einleitung
Teil 2: Bernoulli, Drücke, Auftrieb im Detail
Teil 3: Reaktionsprinzip und Impulserhaltung
Teil 4: Der senkrechte Start
Teil 5: Der Heckrotor
Teil 6: Vorwärts, rückwärts, seitwärts und Kurvenflug
Wir wissen nun, warum ein Hubschrauber fliegen kann, wie er abhebt, um auf der Stelle zu schweben und die Nase in eine Richtung hält. Wie aber steuert der Pilot, in welche Richtung der Hubschrauber fliegen soll? Oder dass er überhaupt beschleunigen soll? Nachdem die linke Hand und die Füsse bereits voll beschäftigt sind, bleibt nur noch die rechte Hand übrig: Mit dieser bedient der Pilot einen Steuerknüppel, mit dem er im Ergebnis die Neigung des kompletten Hauptrotors bewirken kann. Wie wird diese Neigung bewirkt? Die Antwort ist bereits in Namen des Steuerknüppels zu finden: Er wird zyklische Blattsteuerung genannt oder aus dem englischen „Cyclic Stick“ oder nur „Cyclic“ oder nur „Stick“ (Abb. 10). Im Folgenden verwenden wir den Begriff „Stick“. Wie genau der Stick die Neigung der Rotorscheibe bewirkt, klären wir jetzt.
Wir haben bereits gesehen, dass uns die Taumelscheibe dabei hilft, eine Steuereingabe von der stillstehenden Zelle auf den drehenden Rotor zu bringen (Abb. 13). Der untere Teil der Taumelscheibe dreht sich nicht, der obere schon. Der untere, still stehende Teil der Taumelscheibe wird vom Piloten mittels Stick über Steuerstangen geneigt. Der rotierende Teil folgt dieser Neigung dabei exakt, dreht sich aber mit dem Rotor. Die Pitch links zwischen dem rotierenden Teil der Taumelscheibe und den ebenfalls rotierenden Rotorblättern steuern während des Umlaufzyklus die Einstellwinkel der Rotorblätter. (Abb. 15).
Abbildung 15: Einstellwinkel je nach Rotorblattposition in der Kreisebene
Um eine Neigung der Rotorscheiben nach vorn und damit eine Vorwärtsbewegung des Hubschraubers einzuleiten, soll der Auftrieb in der hinteren Hälfte der Rotorscheibe erhöht und gleichzeitig in vorderen Hälfte verringert werden. Auf seinem Weg durch die Rotorscheibe soll das Rotorblatt an der vordersten Stelle somit einen geringeren Anstellwinkel haben und an der hintersten Stelle der Rotorscheibe – also genau über dem Heckausleger – einen steileren (Abb. 16). Dadurch wird vorne weniger Auftrieb und hinten mehr Auftrieb erzeugt, mit dem Ergebnis, dass sich die ganze Rotorscheibe nach vorn neigt und der Hubschrauber nach vorn bewegt. Aus Sicht des Hauptrotors bewegt sich die Taumelscheibe ständig hin und her – führt also eine Taumelbewegung aus, die ihr den Namen gab.
Abbildung 16: Einstellwinkel je nach Blattposition
Genau genommen wird also nicht, wie oft vermutet, der ganze Rotor mechanisch geneigt. Stattdessen wird ein Blatt während seines Umlaufens durch die Steuereingabe des Piloten über Taumelscheibe und Pitch links so geneigt, dass zum Beispiel am vordersten Punkt vor dem Cockpit das Rotorblatt nur sehr wenig Auftrieb erzeugt. Je weiter das Blatt sich nach hinten dreht, desto größer wird der Anstellwinkel des Blattes, sodass es hinten den höchsten Auftrieb erzeugt. Bei der weiteren Drehung nach vorne wird der Auftrieb aufgrund geringer werdenden Anstellwinkels wieder kleiner. Alle Blätter durchlaufen diese Zyklen, sodass jedes Blatt bei einer Position in der hinteren Kreishälfte der Rotorscheibe stark nach oben zieht und bei einer Position in der vorderen Kreishälfte weniger (Abb. 17). Daraus resultiert die Neigung des ganzen Rotors und damit auch die des ganzen Hubschraubers nach vorne. Die Zelle wird quasi am Hauptrotor baumelnd hinterhergezogen. Der Hubschrauber fliegt vorwärts und beschleunigt weiter, bis der Stick wieder zurückgenommen wird.
Abbildung 17: Auftriebskräfte je nach Blattposition
Seitwärts und Rückwärts
Da die Taumelscheibe in alle Richtungen neigbar ist, und vor lauterer Dreherei gar nicht weiß, wo vorne und hinten ist, kann der Pilot durch seine Steuerung am Stick die Taumelscheibe so neigen, dass äquivalent zum Vorwärtsflug auch seitwärts, rückwärts oder diagonal geflogen werden kann. Natürlich ist der Stick so eingestellt, das die Flugrichtung der Steuereingabe des Stick entspricht: Drückt der Pilot den Stick nach vorne, bewegt sich der Hubschrauber nach vorne, drückt er ihn zur Seite, bewegt sich der Hubschrauber zur Seite, und so weiter. Das macht den Hubschrauber so wendig.
Wird der Stick im Schwebeflug seitlich gedrückt, kommt ein seitliches Schweben heraus. Im Vorwärtsflug mit entsprechender Fluggeschwindigkeit wird daraus eine Kurve mit entsprechender Schräglage. Stick nach hinten entspricht im Vorwärtsflug dementsprechend einer Bremsung. Mit dem Beschleunigen strömt nun auch immer mehr Wind an der Zelle vorbei – auch am Heckausleger, an welchem Finnen angebracht sind. Diese fungieren nun stabilisierend – daher im englischen auch die treffendere Bezeichnung „Stabilizer“. Sie helfen mit, den Hubschrauber allein aufgrund des Fahrtwindes gerade zu halten (Wetterhahneffekt). Der Heckrotor wird also hauptsächlich im Schwebeflug benötigt, wenn der Hubschrauber keinerlei Vorwärtsfahrt hat. Das Schweben auf der Stelle ist demnach für den Antrieb auch am forderndsten: Der Heckrotor muss das durch den Hauptrotor auf die Zelle erzeugte Drehmoment voll ausgleichen. Es gibt in diesem Flugzustand noch keinen Fahrtwind, der über die Stabilizer strömt und per Wetterhahneffekt mithilft. Für den Antrieb ist also das Schweben auf der Stelle der Flugzustand, der am meisten Leistung abverlangt.
Die Steuereingaben liegen in den meisten Fällen nur im Millimeterbereich, sodass Passagiere den Eindruck haben, der Pilot hält alle Steuerelemente einfach nur fest und tut wenig bis gar nichts. Dass Hubschrauber fliegen aber unter anderem aufgrund dieser extrem filigranen Steuereingaben anspruchsvoll ist und zugleich unglaublich viel Spaß macht, können Sie in einem Schnupperflug selbst testen!
Die Beitragsreihe endet hier. Nach Lektüre dieser Beitragsreihe oder des E-Books verfügen Sie über erhebliches Vorwissen. Wir fragen Sie dann aus. Mehr einfach erklärtes Wissen zum Thema Hubschrauber und benachbarten Gebieten wie Technik von Hubschraubern, Aerodynamik, Meteorologie, Navigation und vielen weiteren spannenden Themen rund um die Luftfahrt finden Sie unter www.heliflieger.com