Dieser Teil ist der dritte Teil. Wenn Sie der Reihe nach lesen möchten, finden Sie hier die vorangegangenen Teile:
Teil 1: Einleitung
Teil 2: Bernoulli, Drücke, Auftrieb im Detail
Teil 3: Reaktionsprinzip und Impulserhaltung
Die Wölbung des Flügels ist zwar wichtig, aber nicht der einzige Effekt. Wir kennen auch noch von dem englischen Naturforscher Isaac Newton (1643-1727) den Impulserhaltungssatz und damit den sehr hilfreichen Effekt des Rückstoßes. Beide finden bei der Steuerung des Hubschraubers Anwendung. Zur Verdeutlichung gleich ein paar Experimente:
Experiment 3: Die Wand reagiert! Das Reaktionsprinzip
Gehen Sie zu einer Wand und drücken Sie dagegen. Was passiert? Nichts! Die Wand drückt mit gleicher Kraft zurück, sonst würden Sie oder die Wand ja umfallen. Die Reaktionskraft der Wand ist in gleicher Stärke, aber genau entgegengesetzt: „Actio = Reactio“. Das ist das Newton’sche Reaktionsprinzip, etwas wissenschaftlicher auch das „3. Axiom“ genannt.
Experiment 4: Wer einen Kollegen schubst…. Die Impulserhaltung
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf einem typischen Bürodrehstuhl mit Rollen und haben Ihre Füße vom Boden entfernt. Sie wollen so Ihren Kollegen wegstoßen, der genau neben Ihnen ebenfalls auf einem solchen Stuhl sitzt. Sie rollen beide in die entgegengesetzte Richtung davon. Den Impuls, den Sie gaben, haben Sie vermutlich zur Hälfte selbst abbekommen, sodass Sie nun beide durchs Büro rollen. Ist Ihr Kollege schwerer als Sie, rollen Sie sogar etwas schneller als er. Extrembeispiel: Im Winter gibt die Batterie Ihres Autos auf und Sie müssen schieben. Wenn Sie dabei selbst auf Glatteis stehen, schieben Sie sich selbst weg und das Auto bleibt einfach stehen. Frechheit.
Experiment 5: Newton grüsst beim Autofahren und Brotdose spülen
Lassen Sie bei der nächsten Autofahrt das Fenster herunter und halten Sie Ihre Hand bei voller Fahrt flach aus dem Fenster. Neigen Sie Ihre Hand dann um verschiedene Winkel und Richtungen und spüren Sie die Kraft Newtons: Ihre Hand will nach oben, weil Sie die Luft nach unten drücken. Oder umgekehrt. Im Sommer macht dieses Experiment mehr Spaß als im Winter.
Für den Winter daher folgendes Alternativexperiment: Wenn Sie das nächste Mal sofern vorhanden die Brotdose Ihrer sofern vorhandenen Kinder abwaschen, nachdem Sie darin ein 3 Tage altes Pausenbrot gefunden haben, nehmen Sie den Deckel der Brotdose und bewegen Ihn seitlich geneigt hin und her durch das Spülwasser. Dabei werden Sie feststellen, wie der Deckel je nach Neigung eine Kraft nach oben oder unten erfährt. Die Strömung im Wasser ist als Modell durchaus geeignet, um das Strömungsverhalten in Luft nachvollziehen zu können. Deshalb wurde oben zunächst allgemeiner von „Fluiden“ gesprochen.
Für die Physik-Interessierten: Die Impulserhaltung
Der Impuls eines Körpers ist das Produkt aus seiner Masse und seiner Geschwindigkeit. Prallen zwei Körper mit jeweils verschieden starkem Impuls aufeinander, ändert sich beim Stoß der Gesamtimpuls aller Stoßpartner nicht. Es geht kein Impuls verloren, die resultierenden Teilimpulse können sich aber ändern. Dies wird als Impulserhaltungssatz beschrieben. Jeder kennt als hübsche Anwendung das Kugelstoßpendel. Oder aus Bud-Spencer-Filmen, in denen der von Bud Geohrfeigte aufgrund kleinerer Körpermasse gleich eine Rolle vorwärts macht. Ok, dieser Vergleich hinkt etwas.
Abbildung 8: Der Impulserhaltungssatz wie ihn fast jeder kennt
Völlig abgedreht: Was den Hubschrauber vom Papierflieger unterscheidet
Wie wir Auftrieb erzeugen können, um die Schwerkraft zu überwinden, ist nun theoretisch geklärt. Wir müssen in der Praxis irgendwie bewerkstelligen, dass der Flügel mit möglichst hoher Luftgeschwindigkeit angeströmt wird. Einen Papierflieger werfen wir hierzu mit der Hand in die Luft, ein Sportflugzeug beschleunigt mit Hilfe eines Propellers, große Passagierflugzeuge nutzen den Schub ihrer Triebwerke. In allen bisher genannten Fällen bewegen sich die Flügel zusammen mit dem an diesen fest montierten Flugzeugrumpf nach vorne. Wenn die Geschwindigkeit und der dadurch erzeugte Druckunterschied und die wiederum dadurch erzeugte Auftriebskraft an den Tragflächen groß genug ist, hebt das Flugzeug ab. Etwas anders ist der Ablauf beim Hubschrauber. Ein Hubschrauber bewegt sich zunächst nicht selbst, stattdessen dreht er seine Rotorblätter, die wie die Flügel beim Flugzeug Auftrieb erzeugen sollen. Von einem Kolbenmotor oder einem Turbinentriebwerk angetrieben, dreht sich der Rotor immer schneller, bis er eine ausreichend hohe Drehgeschwindigkeit erreicht. Wie die Tragflächen eines Flugzeugs erzeugen die Rotorblätter Auftrieb, wenn sie sich schnell genug und in einer bestimmten Stellung durch die Luft bewegen.
Während die Flügel an Flugzeugen starr befestigt sind und immer nur vom “Fahrtwind” aus der Flugrichtung angeströmt werden, drehen sich beim Hubschrauber die „Flügel“. Sie werden aufgrund der Drehung weitgehend unabhängig von der eigentlichen Flugrichtung angeströmt. Deshalb werden Flugzeuge auch Starrflügler genannt und Hubschrauber Drehflügler. Im Englischen sind die Begriffe entsprechend „fixed wing“ und „rotary wing“.
Abbildung 9: Begriffsklärungen außen am Typ Robinson R44
Allein aufgrund dieses Unterschiedes in der Bewegung bzw. Strömungsrichtung von linear/geradeaus beim Flugzeug auf kreisförmig beim Hubschrauber-Hauptrotor ändert sich aerodynamisch bereits sehr viel. Bei einer kreisförmigen Bewegung beispielsweise haben die Punkte nahe am Zentrum eine geringere Geschwindigkeit als die Punkte weiter außen. Durch seine Drehbewegung erreicht ein Rotorblatt an seiner Blattspitze Geschwindigkeiten im Bereich der Schallgeschwindigkeit, während an der Blattwurzel in der Nähe des Drehzentrums die Geschwindigkeiten zu klein sind, um nutzbaren Auftrieb erzeugen zu können. Das ist das Prinzip des Teufelsrads am Jahrmarkt, bei dem Personen auf einer sich drehenden Scheibe sitzen: Personen, die weiter weg vom Zentrum der Scheibe sitzen, bewegen sich schneller und werden durch die Fliehkraft recht bald nach aussen gedrückt. Personen, die nahe am Zentrum sitzen, erfahren kaum Fliehkräfte und können sich dort sehr lange halten. Bis eben der böse Teufelsradbetreiber einen an einem Seil befestigen Ball auf die in der Mitte Sitzenden abfeuert und so dieses Gleichgewicht stört.
Abbildung 10: Der Arbeitsplatz des Hubschrauberpiloten im Robinson R44
Diese Themenbereiche bezüglich Fliehkraft, Blattspitzengeschwindigkeit etc sind sehr komplex und deren Verständnis ist zur Beantwortung der Frage weshalb ein Hubschrauber fliegen kann in der Tiefe an dieser Stelle nicht notwendig. Vereinfachend wird im Folgenden davon ausgegangen, dass der Hauptrotor mit seinen Rotorblättern in Summe den nötigen Auftrieb ähnlich einfach wie die Flügel beim Flugzeug erzeugt.
Im nächsten Teil: Vorwärts, Rückwärts, Seitwärts. Und Kurvenflug.
Den nächsten Teil finden Sie hier: Warum kann ein Hubschrauber fliegen Teil 4