Teil 1: Einführung und Auftrieb

Dieser Teil ist der erste von einigen, die die Frage beantworten sollen, warum ein Heli denn nun fliegen kann. Die Reihe basiert auf dem von Florian Gronau und mir verfassten gleichnamigen E-Book. Das gesamte e-Book ist aber zu lang für einen einzigen Blog-Beitrag, deshalb haben wir hier kleine leichter verdauliche Häppchen angefertigt und eine Blog-Reihe draus gemacht. Zunächst aber das kurze Vorwort aus dem E-Book, das unsere Motivation verdeutlicht:

Vorwort

Als Helikopter-Piloten aus Leidenschaft und Fluglehrer haben wir natürlich viel mit Hubschraubern zu tun. Und auf Rundflügen werden von den Fluggästen sehr oft ähnliche Fragen gestellt. Die Herausforderung besteht darin, diese Fragen trotz komplexer technischer Materie so zu beantworten, dass sie auch ohne technischen Hintergrund verstanden werden können. Eine besondere Herausforderung sind stets die Selberflieger, die den Hubschrauber nach einer kurzen Einweisung zumindest teilweise selbst steuern sollen. Und das ohne technischen Hintergrund oder anderes Vorwissen, lediglich nach einer Einweisung am Boden von etwa 30-45 Minuten. Da ist ja zum Glück auch noch das Doppelsteuer, mit dem der Fluglehrer permanent helfen kann. Hinzu kommt eine gehörige Portion Humor und Spass, damit wir nicht vergessen, weshalb wir eigentlich auf diesem Planeten sind. Ziel ist, dass der Schnupperflieger nach der Flugstunde mit einem echten unvergesslichen Erfolgserlebnis aus dem Hubschrauber steigt. Wichtig sind dabei der Fokus auf das Wesentliche und möglichst einfache Erklärungen. Vor Ihnen liegt der erste Versuch, die Frage warum ein Heli überhaupt fliegen kann und wie er gesteuert wird, möglichst genau so zu beantworten. Viel Spass!

Einleitung

Während ein Flugzeug nur bei hohen Geschwindigkeiten vom Erdboden abheben und in der Luft bleiben kann, hebt sich der Hubschrauber einfach aus dem Stand selbst in die Lüfte. Er ist dabei in der Lage, nicht nur vorwärts, seitwärts und rückwärts zu schweben, sondern sich sogar um seine eigene Achse drehen. Wie aber funktioniert das und wie steuert der Pilot diese präzisen Flugbewegungen? Das sind Fragen, die sich viele Menschen stellen. Zum Beispiel wenn wieder einmal ein Heli über das eigene Haus fliegt – sei es der Rettungshubschrauber auf dem Weg zum Einsatz oder einer von der Polizei, der in der Luft stehend ein Gebiet absucht. Oder wer schon einmal selbst einen Rettungshubschrauber brauchte, den Blick von oben aber nicht wirklich genießen konnte. Diese Fragen werden in dieser Blogartikel-Reihe anschaulich und verständlich erklärt. Wir achten darauf, dass es für Personen ohne Vorkenntnisse verständlich ist. Dabei lernen wir unter anderem, was einen Hubschrauber von einem Papierflieger unterscheidet, was er mit einem Deckel im Spülwasser oder mit Bürostühlen gemeinsam hat und welche Rolle Bud Spencer dabei spielt. Weil sich der Hubschrauber der gleichen physikalischen Gesetze bedient wie ein Flugzeug, diese Zusammenhänge aber für viele Menschen am Beispiel Flugzeug leichter nachvollziehbar sind, werden wir sie zunächst am Flugzeug erklären, bevor wir den Transfer zum Hubschrauber vollziehen. Los gehts.

Völlig losgelöst: Wie schwere Dinge fliegen lernen

Ein kräftiger Luftsprung aus den Knien reicht nicht, um guten Gewissens behaupten zu können, man sei geflogen. Vielmehr muss man sich wohl oder übel damit beschäftigen, wie die Anziehungskraft der Erde dauerhaft überwunden oder ausgeglichen werden kann. Diese Erd-Anziehungskraft, die alle Objekte zu Boden zieht, heißt Gewichtskraft oder wissenschaftlicher ausgedrückt „Gravitation“. Sie ist für uns sehr nützlich – ohne sie würden wir etwas unbeholfen in der Gegend herumschweben. Das Bild von im Raum herumschwebenden Objekten ist uns Dank zahlreicher Fernsehübertragungen aus dem Space Shuttle oder der Weltraumstation ISS bekannt. Natürlich auch aus diversen Sci-Fi-Filmen wie Star Wars, Star Trek, Guardians of the Galaxy, Der Marsianer… ähem – Sie verstehen, was ich meine. Auf dem Weg zur Bushaltestelle oder durch unsere Wohnung bewirkt sie, dass wir immer auf festem Boden stehen, anstatt etwa wie eine Seifenblase davon zu schweben. Wenn Sie also mit der Absicht zu fliegen, in die Luft gesprungen sind, zieht Sie die Schwerkraft gleich wieder zurück zur Erde. Der kleine Höhenflug findet ein schnelles Ende und Sie stehen wieder am gleichen Fleck, von dem aus Sie gestartet sind. Es sei denn, Sie stellen sich etwas ungeschickt an und verlieren bei der Landung das Gleichgewicht. Sollten Sie ein Vogel sein, könnten Sie kräftig genug mit den Flügeln schlagen, um dieser Kraft entgegenzuwirken und Ihr Allerwertester macht keine mehr oder weniger schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Boden.

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Abbildung 1: Das Gewicht träumt davon, wie ein Vogel zu fliegen

Wenn wir also wirklich richtig fliegen wollen, benötigen wir eine Kraft, die der Gewichtskraft dauerhaft entgegenwirkt und uns somit länger als ein paar Sekunden in der Luft hält. Wir haben es dem Schweizer Gelehrten Daniel Bernoulli (1700-1782) zu verdanken, dass wir heute eine solche Kraft bewusst erzeugen können. Er fand vereinfacht ausgedrückt heraus, dass in einem strömenden Fluid (Gas oder Flüssigkeit) ein Geschwindigkeits-Anstieg auch von einem Druckabfall begleitet wird. Wenn also etwas schneller fliesst, ist gleichzeitig weniger Druck drin. Stellen Sie sich vor, dass ein Gegenstand, der rein zufällig wie der Flügel eines Flugzeugs geformt ist, durch die Luft bewegt wird (Abb. 2). Dabei muss sich die Luft beim Auftreffen auf den Flügel aufteilen. Ein Teil strömt oben vorbei und hat dabei aufgrund der Wölbung des Flügels einen längeren Weg zurückzulegen. Der andere Teil strömt an der Unterseite vorbei und hat einen kürzeren Weg.

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Abbildung 2: Wer den längeren Weg hat, muss schneller sein

Damit sich an der Rückseite des Flügels die Luft-Teilchen wieder treffen können, müssen die „Oberen“ mit dem längeren Weg etwas schneller strömen. Dabei nimmt nach Bernoulli an der Oberseite der sogenannte statische Druck ab. Eine Auftriebskraft entsteht, wenn sich Luft schnell über die speziell geformte Profiloberseite und langsam über die Unterseite bewegt. Die schneller strömende Luft hat einen niedrigeren statischen Druck als die langsamer strömende Luft, sodass der hohe Druck an der Unterseite das Profil anhebt. Die folgenden sehr einfachen Experimente helfen, das zu verstehen.

Experiment 1: Wie hängen schnell strömende Luft und Auftrieb zusammen?

Halten Sie ein Blatt DIN A4-Papier an einer der kurzen Seiten waagerecht, sodass die andere Seite aufgrund der Erdanziehungskraft schlapp herunterhängt. Pusten Sie nun mit einem Föhn Luft über die gewölbte Oberseite des Papiers. Wenn Sie keine Lust haben, jetzt den Föhn aus dem Badezimmer zu holen, reicht auch, wenn Sie drüberpusten. Das Papier hebt sich! Das Ganze funktioniert sogar immer noch, wenn mit Tesafilm kleine Steinchen zur Gewichtserhöhung an die Blatt-Unterseite geklebt werden.

Experiment 2: Wie kann man sich Drücke und Auftrieb bildlich vorstellen?

Wenn Sie gerade keinen Flugzeugflügel zur Hand haben, legen Sie stattdessen einfach eine Spielkarte auf Ihre flach ausgestreckten Finger. Die Karte ist nun der Flügel. Eine zweite Person drückt von oben auf die Karte. Drücken beide Personen gleich stark, bewegt sich die Karte nicht. Die Finger entsprechen hier dem Luftdruck auf das ruhende Profil. Nun lassen wir gedanklich Luft über das Profil strömen (Abb. 2), der Luftdruck auf der Oberseite nimmt ab und damit auch die Kraft. Im Beispiel bedeutet das: Die zweite Person mit der oberen Hand reduziert den Druck auf die Karte deutlich, während die erste Person mit der unteren Hand den ursprünglichen Druck beibehält. Die Karte bewegt sich nach oben.

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Abbildung 3: Der frühe Vorgänger des Airbus A380 hier bei geheimen Tests

Fazit

Der niedrige Druck der Luftmoleküle auf der Profiloberseite ist vergleichbar mit unzählig vielen eher schwach drückenden Fingern, während der höhere Druck auf der Profilunterseite mit ebenso vielen kräftiger drückenden Fingern vergleichbar ist. Die aus diesem Druckunterschied resultierende Kraft wird Auftrieb genannt. Ist diese Auftriebskraft größer als die Gewichtskraft eines Gegenstandes, verlässt dieser Gegenstand den Erdboden. Aus unserem kleinen Hopser wird damit endlich ein Flug! Davon könnten vor allem Flugpioniere des späten 19. Jahrhunderts ein Lied singen, wenn Sie noch am Leben wären. Sie gaben aber trotz zahlreicher Fehlversuche nicht auf und schafften den schwierigen Schritt von unzähligen kleinen gescheiterten Hopsern zu ernstzunehmenden Flügen über immerhin mehrere Meter. Das oben beschriebene Prinzip – eine Auftriebskraft aufzubringen, die größer als die Gewichtskraft ist – liegt heute noch allen Flugzeugen zugrunde. Dabei ist es fast egal, wie schwer ein Flugzeug ist, solange eine Kraft erzeugt werden kann, die größer ist als die Gewichtskraft, die das Flugzeug am Boden festhält. Wie? Das ist alles? Ja. Klingt komisch, ist aber so. Aus diesem Grund kann auch das derzeit größte Passagierflugzeug der Welt, der Airbus A380 überhaupt fliegen – sogar mit seinem maximalen Startgewicht von 569.000 Kilogramm. Das entspricht etwa drei erwachsenen Blauwalen. Oder 400 VW Passat. Der A380 kann sogar bis zu 15.200 Kilometer Flugstrecke zurücklegen! Passat und Blauwal können hingegen immer noch nicht fliegen.

Im nächsten Teil:

  • Die physikalischen Grundlagen zum Auftrieb – keine Angst, super easy erklärt.
  • Wir begleiten ein Flugzeug vom Stand bis zum Abheben – Praxis hautnah. Bitte vor dem Lesen Helm und Brille aufsetzen.

Direkt zum nächsten Teil: Warum kann ein Hubschrauber fliegen Teil 2